Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Glossar zu Fußball-Fansubkulturen

 

»Kutten« / »Kuttenfans«

Die »Kutte« hat ihren Namen vom auffälligsten Kleidungsstück seines Trägers oder manchmal auch ihrer Trägerin: eine mit Aufnähern bestückte Jacke, die zu Fußballspielen getragen wird. Diese Aufnäher drücken vieles aus: Die Liebe zum Verein, Abneigung und Gewaltfantasien gegen andere Vereine, die Herkunft aus einer Stadt oder Region und mitunter Selbstironie (»Mutti nähte diese Weste«). So unterschiedlich wie die Motive auf den Jacken waren und sind, sind die politischen Einstellungen ihrer Trä­ger*in­nen, jedoch fielen und fallen »Kutten« immer wieder durch rechte Parolen und Attitüden auf. Frauen- und homosexuellenfeindliche Aufnäher-Motive (»Schwule Mainzer – Nein Danke!«) sind üblich, das Bekenntnis »Ich bin stolz ein Deutscher zu sein« ist bis heute auf den Kutten verbreitet. Kuttenfans prägten bis in die 1980er die Bilder der Fanblöcke und der »Fußballrowdys«. Sie waren die treibenden Kräfte von Schlägereien unter Fußballfans. Diese geschahen niemals losgelöst vom Spieltag, waren oft unorganisiert und meist spielte Alkoholgenuss eine wesentliche Rolle.

Die »Kutten« überalterten ab den späten 1980er Jahren in vielen Stadien zusehends und sind heute nur noch eine von vielen Szenen. Für die neuen, zunehmend erlebnisorientierten und modebewussten Generationen waren Hooligangruppen ab den 1980er Jahren und Ultragruppen ab Ende der 1990er Jahren integrativer und attraktiver.

 

Hooligans

Der »Hooliganismus« im Fußball entwickelte sich zunächst im England der 1950er und 60er Jahre, in den 1980er Jahren schließlich auch in Ost- und Westdeutschland.

Im Gegensatz zu den »Kuttenfans«, für die die Unterstützung der Mannschaft im Mittelpunkt steht, liegt das Hauptaugenmerk der Hooligans auf Auseinandersetzungen mit Fangruppen gegnerischer Vereine. Aufgrund zunehmender Repression und Überwachung in den Stadionbereichen verlagern sich diese seit Jahren zu ausgemachten Schlägereien abseits der Spielstätten und Spieltage. Ein eigenes Regelwerk und ein »Ehrencodex« ächten die Verwendung von Waffen und sollen schwere Verletzungen verhindern. Seit den 1990er Jahren kursieren in der Szene »Ranglisten«, die Auskunft über die »Schlagkraft« der einzelnen Gruppen geben. Was als Katharsis im Rahmen von Fußballspielen begann, entwickelte sich zu einem nationalen wie internationalen Prügel-Wettbewerb, der über Video-Plattformen wie Youtube medial allen zugänglich ist.

Der Zusammenhalt untereinander, die Präsentation von Stärke nach außen, der Ruf und die Ehre der eigenen Gruppe stehen im Vordergrund. In den männerbündisch-hierarchischen Strukturen der Hooligans übernehmen Frauen nur punktuell Aufgaben, beteiligen sich jedoch nicht an den Kämpfen. Hooligangruppen verstehen sich oft als unpolitisch. Wenngleich personelle und inhaltliche Überschneidungen von Hooligangruppen mit extrem rechten Gruppen keine Seltenheit sind, so wird die pauschale Einordnung von Hooligans in der politischen Rechten der Heterogenität der Szene nicht gerecht.

Je mächtiger Hooligangruppen in und außerhalb der Stadien wurden, je stärker sie zugleich in den Stadien mit Repression belegt wurden, desto nebensächlicher wurden für sie Kämpfe im Rahmen von Fußballspielen und Hooligan-Identität. Viele Hooligans fanden Anschluss an das sogenannte Rotlicht-Milieu und/oder an Sicherheitsunternehmen. So mancher verließ die Fanränge, um nun – ausgestattet mit offiziellen Sicherheitsaufgaben – im Rahmen des Fußballspiels für Ordnung zu sorgen. In etlichen Fällen schlossen sich Hooligans der Rockerszene an, ohne ihre Identität als Hooligans völlig aufzugeben.

 

Ultras

Die Ultrabewegung kann in Teilen Europas auf eine lange Geschichte zurückblicken. Seit den 1950er Jahre treten Fangruppen in Italien unter dem Label »Ultra« auf. Ultra kann mit »darüber hinaus« übersetzt werden und bezeichnet den Anspruch dieser Fans, sich mehr als »normale Fans« für das Team einzusetzen. Ein beliebter Ultragesang beinhaltet beispielhaft die Zeile: »... unser ganzes Leben, uns’re ganze Kraft ...«

Ultras gehören in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre zu den führenden Gruppen in den Stadien und gelten als attraktivste und größte jugendliche Fan-Subkultur. Im Unterschied zu Hooligans steht vor allem die optische und verbale Unterstützung, auch Support genannt, im Mittelpunkt. Da-zu gehören spielbegleitende Gesänge, Fahnen, Choreografien (Kurvenshows) und auch das Abbrennen von Pyrotechnik, um die eigene Kurve optisch attraktiv zu gestalten. Diese Auftritte werden von Vereinen und vielen anderen Fans ambivalent aufgenommen. Einerseits gelten Ultras als Stimmungsmacher, ihre Choreografien werden als Imagegewinn für den Verein anerkannt und gefördert. Andererseits wird Ultras häufig vorgeworfen, das Fußballspiel als Bühne zur Selbstinszenierung zu missbrauchen und auf die Interessen der Vereine und »anderer« Fans wenig Rücksicht zu nehmen.

Die Struktur, bzw. Organisation sowie das Selbstverständnis von Ultragruppen ist sehr heterogen. Manche Gruppen haben eine oder mehrere Führungspersonen, andere versuchen, über basisdemokratische Formen alle Mitglieder an den Entscheidungsfindungen teilhaben zu lassen. Der Anteil der Frauen in Ultragruppen steigt seit einigen Jahren und sorgt zumindest in Ansätzen für ein Aufbrechen männerbündischer Strukturen und Einstellungen.

Ähnlich wie bei den Hooligans bietet jedoch auch die Ultrakultur Anknüpfungspunkte zu rechten Einstellungen und Ungleichheitsideologien. Manche Ultragruppen sind strikt hierarchisch aufgebaut, überaus gewaltaffin und/oder kokettieren mit einem kriegerischen Männerbild. In einigen Gruppen sind Frauen weiterhin kategorisch ausgeschlossen. Das Thema Politik sorgt immer wieder für Streit innerhalb der Ultraszene. Für viele Ul­-tras ist die Positionierung gegen rassistische, antisemitische, sexistische und/oder homosexuellenfeindliche Sprüche selbstverständlich, andere sehen das Stadion als per se »unpolitischen« Raum, während einzelne Ultragruppe auch eindeutig rechts zu verorten sind.

 

Tipps zum Weiterlesen:

ALMUT SÜLZLE (Hg.): Fußball, Frauen, Männlichkeiten, Eine ethnographische Untersuchung im Fanblock, Campus-Verlag, Frankfurt/New York 2011

DAGMAR SCHEDIWY (Hg.): Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold? Der Neue deutsche Fußballpatriotismus aus sozialpsychologischer Perspektive. LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin 2012

ANTJE HAGEL, NICOLE SELMER, ALMUT SÜLZLE, KOORDINATIONSSTELLE FANPROJEKTE BEI DER DEUTSCHEN SPORTJUGEND (HG.): gender kicks, Texte zu Fußball und Geschlecht, KOS-Schriften 10, Frankfurt/Main 2005

ROBERT CLAUS, ANDREAS KAHRS, DANIEL LÖRCHER (Hg.): raus aus dem… Abseits – Vielfalt und Antidiskrimi­nierung in der Fanarbeit – Ein Ideen­rat­geber, Borussia Dortmund, 2016

Martin Endemann, Robert Claus, Gerd Dembowski, Jonas Gabler (Hg.): Zurück am Tatort Stadion, Diskriminierung und Antidiskrimi­nierung in Fußball-Fankulturen, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015

JONAS GABLER (HG.): Ultrakulturen und Rechtsextremismus, Fußballfans in Deutschland und Italien, Papyrossa Verlag, Köln 2009

Jonas Gabler (Hg.): Die Ultras – Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland, Papyrossa Verlag, Köln 2010

Gerd Dembowski, Diethelm Blecking (Hg.): Der Ball ist bunt – Fußball, Migration und die Vielfalt der Identitäten in Deutschland, Brandes & Apsel, Frankfurt a. M. 2010

NINA DEGELE (Hg.): Fußball verbindet – durch Ausgrenzung, Springer VS, Wiesbaden 2013

Amadeu Antonio Stiftung (Hg.): Fairplay statt Hass. Was wir gegen Menschenverachtung und rechts­extreme Ideologien im Fußball machen können, Berlin 2015

TRANSPARENT – Magazin für Fußball & Fankultur, Buchtstr. 14/15, 28195 Bremen, www.transparent-magazin.de

www.tatort-stadion.de (Homepage der Ausstellung »Tatort Stadion«)

www.aktive-fans.de (Homepage von BAFF / Bündnis Aktiver Fußballfans)

http://fussballfansgegenhomophobie.blogsport.de

www.f-in.org (Homepage von »F_in Netzwerk Frauen im Fußball«)

 

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